Die Neurochemie der Erregung – was im Gehirn passiert
Für die Erregung ist ein spezieller Gehirnteil verantwortlich - das Limbische System. Das Limbische System dient der Verarbeitung von Emotionen und emotionalen Impulsen. Dabei funktioniert das Limbische System nicht unabhängig von anderen Arealen des Gehirns und wird von diesen beeinflusst. Hier kann man unter anderem das Mesolimbische System unterscheiden, welches an der Entstehung von Freude beteiligt ist und auch auf die Einnahme von Alkohol oder Nikotin mit einer erhöhten Ausschüttung des Glücksbotenstoffes (Dopamin) reagiert. Ebenso gehört der Hippocampus zum Limbischen System und spielt bei der Verarbeitung von Wahrnehmungen eine große Rolle. Im Hippocampus werden sensorische Informationen, also das Wahrgenommene, verarbeitet. Der Hippocampus hat Verbindungen zum Cortex - der äußeren Großhirnrinde - in dem die Inhalte des Langzeitgedächtnisses gespeichert sind. Das Wahrgenommene wird durch den Hippocampus mit den im Cortex gespeicherten Erinnerungen verglichen. Wahrgenommene Reize (z.B. optische Signale, aber auch Berührungen) werden also Gehirn zu vergangenen Situationen und vorhandenem Wissen sowie Erinnerungen in Beziehung gesetzt. Das aktuelle Erleben wird mit früheren Erfahrungen abgeglichen. Es erfolgt basierend auf diesen Erfahrungen eine Bewertung der Situation - als positiv oder negativ. Wenn etwas in der Vergangenheit als lustvoll erlebt wurde, dann führte dies zu einer Aktivierung des Nucleus Accumbens, der zum Mesolimbischen System gehört. Aktuelle Erlebnisse (was wahrgenommen wird), die früheren lustvollen Situationen ähneln (was der Hippocampus mit dem Cortex abgleicht), aktivieren den Nucleus Accumbens (der Emotionen erleben lässt) ebenfalls.Der Nucleus Accumbens - Was macht diese Struktur?
Im Nucleus Accumbens gibt es viele Dopaminrezeptoren. Werden diese aktiviert, lösen sie ein Glücksgefühl aus. Vom Nucleus Accumbens gibt es starke Verbindungen zum Hypothalamus, von wo aus die vegetative Antwort (Körperreaktionen) auf die Glücksgefühle hervorgerufen wird. Der Hypothalamus steuert etwa die Herz-Kreislauf-Funktionen. Erinnert das aktuell Wahrgenommene an eine angenehme, früher erlebte Situation, dann kann bereits diese Erinnerung dazu führen, dass durch das Zusammenwirken von Hippocampus, Cortex und Nucleus Accumbens ein Gefühl der positiven Erregung entsteht.Der Hypothalamus lässt körperliche Erregung entstehen
Der Hypothalamus – ein anderer Teil des Limbischen Systems - bewirkt, dass man die typischen Körperempfindungen spürt, die mit Erregung verbunden sind. Er ist auch die Ursache dafür, dass letztlich Östrogen oder Testosteron im Körper wirken können. Die Ausschüttung von Östrogenen (weibliches Geschlechtshormon) oder Androgenen/ Testosteron (männliches Geschlechtshormon) bewirken das lustvolle Annäherungsverhalten.Dabei entsteht eine Kaskade. Der Hypothalamus schüttet ein Hormon aus (Gonadotropin-Releasing Hormon), welches über das Blut zur Hypophyse gelangt (Hirnanhangdrüse). Die Hypophyse schüttet dann zwei Hormone aus - das luteinisierende Hormon und das Follikel-stimulierendem Hormon. Beide Hormone gelangen über das Blut zu den Eierstöcken und lösen dort die Produktion von Östrogenen an. Das Östrogen bewirkt dann unter anderem eine gute Durchblutung der Gebärmutterschleimheit. Einen ähnlichen Kreislauf gibt es auch bei Männern, wobei hier kein Östrogen, sondern Testosteron ausgeschüttet wird.
Dopamin, Noradrenalin und Serotonin
Das Gefühl der Verliebtheit entsteht etwas anders. Hierbei spielen neben Dopamin auch Noradrenalin und Serotonin eine Rolle. Noradrenalin regt den Kreislauf an und bewirkt, dass Gefäße enger werden, der Blutdruck steigt. Dopamin wird vor allem dann ausgeschüttet, wenn etwas neu und spannend ist. Das erklärt, warum Paare, die sich gestritten haben, sich danach häufig angeregt fühlen, denn das Streiten hat wieder Distanz geschaffen. Serotonin hingegen hemmt eher die Erregung und agiert als Gegenspieler des Dopamins. Serotonin führt zu einer zufriedenen, gelassenen und ruhigen Stimmung. Um Erregung zu erleben, ist aber ein niedriger Serotoninspiegel wichtig.Ursachen für das Desinteresse
Störungen in diesen Prozessen können eine Unlust hervorrufen. Das können hormonelle Störungen sein, sodass die notwendigen Hormone nicht ausgeschüttet werden. Aufgrund von traumatischen Erlebnissen empfindet jemand eine für andere erregende Situation vielleicht als unangenehm, weil Erinnerungen an das Trauma wach werden. Das aktiviert die Amygdala – einen für Angstgefühle zuständigen Teil des limbischen Systems. Die Amygdala wiederum hemmt die Prozesse der Erregung. Ähnliches passiert bei Stress. Wann immer Gefühle von Stress, Unwohlsein, Bedrängtwerden oder Angst (auch Versagensangst) auftreten, sind Störungen der Erregbarkeit die Folge.Was passiert nun bei Menschen, die asexuell sind und die keine Lust empfinden?
Bei Asexualität liegt keine Störung vor. Es handelt sich nicht um eine Krankheit oder eine pathologische Erscheinung, wie etwa der Forscher Bogaert (2006) aufgrund seiner Studien schlussfolgert. Um herauszufinden, warum Asexuelle weniger oder keine Lust empfinden, untersuchten Brotto und Yale (2011) Frauen, die sich als eher lustlos beschrieben. Die Forscher zeigten Probandinnen anregende Filme und stellten fest, dass es zwischen den lustlosen Probandinnen und den anderen Teilnehmerinnen der Studie keinen Unterschied bei der Intensität der Durchblutung im Intimbereich gab. Alle reagierten auf den gezeigten Film also körperlich gleich. Die asexuellen Teilnehmerinnen reagierten aber auf die Filme mit weniger positiven Emotionen, fühlten sich davon weniger angezogen und empfanden keine Luststeigerung.Stoléru et al. (2003) untersuchten die neuropsychologischen Verbindungen durch einen Gehirnscan (Positronen-Emissions-Tomographie, PET). So bestimmten sie den Blutfluss in den verschiedenen Hirnregionen. Sie zeigten den Probanden dabei erregende Filme und stellten fest, dass Personen, die sich als lustlos beschrieben, ein verändertes Aktivitätsmuster im Gehirn aufwiesen. Ein Hirnteil, der Lust und Emotionen kontrolliert und senkt, war viel stärker aktiviert. Dabei handelte es sich um den Gyrus Rectus, ein Teil des Orbitofrontalen Cortex (linker Stirnlappen, liegt hinter den Augen). Bei den Probanden mit normaler Lust wurde der Orbitofrontale Cortex durch die anregenden Filme eher deaktiviert, bei den lustlosen Probanden kam es nicht zu einer solchen Deaktivierung.
Bianchi-Demicheli et al. (2011) nutzten ein funktionelles MRT sowie erotische Filme und fanden heraus, dass bei Frauen, die wenig Lust empfanden, Hirnregionen, die eigentlich lustbringende Reize verarbeiten, weniger aktiv waren (u.a. Dorsal Anterior Cingulate Gyrus und Intraparietaler Sulcus – liegen beide im limbischen System). Regionen, die mit höheren kognitiven Funktionen assoziiert sind, waren auch in ihrer Studie stärker aktiv. Die Forscher schlussfolgerten dass so weniger Erregung im Gehirn entsteht und die Frauen die Reize eher kognitiv verarbeiten.
Was sagen diese Studien zu mangelnder Erregbarkeit aus?
Aus diesen Studienergebnissen kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass Asexuelle oder Personen mit geringer Lust die gleichen körperlichen Veränderungen hervorbringen können. Auch bei ihnen führen stimulierende Reize zu körperlichen Reaktionen – wie einer gesteigerten Durchblutung im Intimbereich. Die Asexualität liegt also nicht an einer „Fehlfunktion“ der Organe. Interessant ist aber, dass sich die Hirnaktivität im Vergleich zu Personen mit vorhandenem Lustverhalten unterscheidet. Bei den Asexuellen waren einige Gehirnteile, die bei starken Emotionen und Erregung eigentlich stärker aktiviert sein sollten, weniger beteiligt. Areale, die eher höhere Denkfunktionen steuern und für bewusstes Nachdenken zuständig sind, waren deutlicher aktiviert als bei anderen. Zudem beschreiben sich Asexuelle als weniger erregt oder bezeichnen die eigentlich erregenden Reize, die ihnen dargeboten werden, nicht als lustbringend. Die für das höhere Denken zuständigen Areale können die erregungssensitiven Gehirnbereiche hemmen, denn der Cortex (Erinnerungen) und der Orbitofrontalen Cortex (höhere Denkoperationen, Impuls- und Emotionskontrolle) beeinflussen das limbische System.So kann man schlussfolgern, dass die körperliche Reaktionskette funktioniert, denn die verstärkte Durchblutung des Intimbereichs ist auch bei Asexuellen vorhanden. Sie schalten aber nicht ab, wie dies bei anderen der Fall ist. Sie werden nicht so weit stimuliert, dass sie sich hingeben wollen oder weiteren körperlichen Kontakt suchen, sondern es bleibt eine – nicht unbedingt bewusste - Kontrolle der Lust aufrechterhalten, sodass das limbische System wieder gehemmt wird und Asexuelle sich auch emotional nicht erregt fühlen.
Asexuelität ist keine Störung
In der Forschung wurde dabei nicht immer klar zwischen Asexualität und einer Appetenzstörung unterschieden. Forscher, die diese Unterscheidung treffen, sehen die Appetenzstörung als Veränderung des Verhaltens und Lustempfindens. Betroffene empfanden früher Lust, was sich dann aber verändert hat und zu einem Leidensdruck führte. Asexuelle empfinden sich jedoch nicht als „gestört“, haben keinen Wunsch nach Veränderung und kennen sich auch nicht anders – die Unlust bestand in vielen Fällen das ganze Leben lang. Man könnte annehmen, dass im Fall der Appetenzstörung die Veränderungen irgendwann eingetreten sind und dass die neurologischen Unterschiede bei Asexuellen vielleicht schon vorher bestanden - genetisch bedingt sind. Hierzu fehlt aber noch Forschung.- Bianchi-Demicheli, F;., Cojan, Y., Waber, L., Recordon, N., Vuilleumier, P. & Ortigue, S. (2011). Neural bases of hypoactive sexual desire disorder in women: an event-related FMRI study. The Journal of Sexual Medicine, 8(9), 2546-2559.
- Bogaert, A. F. (2006). Toward a Conceptual Understanding of Asexuality. Review of General Psychology, 10(3), 241-250.
- Brotto, L. A., & Yule, M. A. (2011). Physiological and subjective sexual arousal in self-identified asexual women.Archives of Sexual Behavior, 40(4), 699–712.
- Prause, N. & Graham, C. A. (2007). Asexuality: Classification and Characterization. Archives of Sexual Behavior, 36, 341-356.
- Stoléru, S., Redouté, J., Costes, N., Lavenne, F., Le Bars, D., Dechaud, H., Forst, M. G., Pugeat, M., Cinotti, L., & Pujol, J. F. (2003). Brain processing of visual sexual desire stimuli in men with hypoactive sexual desire disorder. Psychiatry Research: Neuroimaging, 124(2), 67-86.